Gerhard Rühm

Gerhard Rühm

Gerhard Rühm, geboren 1930 in Wien, ist Schrift­steller, Komponist und bildender Künstler. Der Mit­be­gründer der Wiener Gruppe war Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und Präsident der Grazer Autorenversammlung. Seine Arbeit, die im Grenzbereich von Musik, Sprache, Gestik und Visuellem angesiedelt ist, wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet.

Dankesrede zur Verleihung der Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln

Ich möchte an dieser Stelle der Universität Köln, die sich im deutschsprachigen Raum eines hervorragenden Rufes erfreut, für die Verleihung der Ehrendoktorwürde ganz herzlich danken. Die Auszeichnung bestärkt mich in meiner Arbeit, denn ich fasse sie als Anerkennung eines Lebenswerkes auf, das in seiner Kompromisslosigkeit gewiss nicht Jedermanns Geschmack entgegenkommt und sich eher außerhalb der etablierten Literaturszene bewegt. Es ist ja nicht nur meine Arbeit, die von ihr und damit von den öffentlichen Medien weitgehend ausgeblendet wird – die ganze Richtung irritiert deren verengten Gesichtskreis. Diese Art von Literatur begnügt sich nicht mit unterhaltsamem Geschichtenerzählen, sie setzt sich vielmehr mit der Sprache selbst bis hin zu ihren Lautpartikeln kreativ auseinander, und das heißt mit grundsätzlichen Fragen des Ausdrucks und der Kommunikation.
In ihrem oft analytischen Umgang mit der Sprache – nicht zu vergessen die Musik- und Bildsprache – bezieht sie durchaus wissenschaftliche Aspekte und Methoden mit ein. So verwischen sich nicht nur die Grenzen zwischen den einzelnen Kunstsparten, sondern auch die zum wissenschaftlichen Denken und Vorgehen. Ich erinnere nur an die elementare Bedeutung der Ausdrucks- und Wahrnehmungspsychologie für die gesamte künstlerische Produktion, aber auch an Einflüsse etwa der Chaostheorie, die bis in die Strukturierung des künstlerischen Materials wirksam werden kann, während Erkenntnisse der Quanten- und Astrophysik oder der Hirnforschung Konsequenzen für die eigene geistige Position und das ästhetische Selbstverständnis zeitigen können, ja sollten.
Ähnlich forschenden Wissenschaftlern betreiben auch ernstzunehmende Künstler ihr Arbeit primär um der Sache selbst willen. Im Streben nach Erkenntnisgewinn und Bewusstseinserweiterung kann es kein Schielen auf die Zustimmung einer schnelllebigen Spaßgesellschaft geben. Die Marksteine der Kulturgeschichte entstammen nicht den Tagesproduktionen diverser Pop-»Ikonen« und Bestsellerautoren, wenn diese auch durchaus eine gesellschaftliche Funktion erfüllen mögen, sondern größtenteils dem Wirken unbequemer, meist missachteter Außenseiter – die Zeiten, als ein Meisterwerk wie Döblins Berlin Alexanderplatz zum Bestseller werden konnte sind leider vorbei, und ein Jahrhundertwerk wie der Ulysses von Joyce war es nie. Es mag für Exponenten umstrittener Positionen etwas Tröstliches haben, dass im historischen Rückblick gerade das, was seinerzeit auf Unverständnis und Ablehnung stieß, sich als das Charakteristische erweist, das als exemplarisch im kulturellen Gedächtnis haften bleibt. Vor Kurzem fand ich einen schönen Satz von Albert Camus: »Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen«. In diesem Sinn möchte ich meine Dankesworte mit einem gewissen Optimismus beschließen. (25. Januar 2010)

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