27.06.2023

Was Sichtbarkeit mir gegeben hat

Der folgende Artikel erschien im englischen Original am 24. Juni 2023 anlässlich der diesjährigen Pride-Feierlichkeiten im Time-Magazine. Mit der Pride wird jedes Jahr an die Stonewall-Riots vom 28.6.1969 in der Christopher Street in Greenwich Village (New York) erinnert. McKenzie Warks autofiktionale Erkundung ihrer eigenen Lebensgeschichte als trans Frau ist unter dem Titel Reverse Cowgirl im vergangenen Monat in deutscher Übersetzung von Johanna Davids im August Verlag erschienen.

Es ist neun Jahre her, dass die Journalistin Katy Steinmetz in einer Time-Titelgeschichte erklärte, dass wir einen »Transgender Tipping Point« erleben. Damit war die zunehmende Sichtbarkeit von trans Personen in der Popkultur und in den von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommenen Medien gemeint. Einige dieser Personen wurden berühmt: Im selben Jahr wurde die Schriftstellerin Janet Mock zur Bestsellerautorin; das Model Geena Rocero outete sich in einem Ted Talk, der über 3 Millionen Mal angesehen wurde; die Schauspielerin Laverne Cox, die auf dem Cover zu Steinmetz’ Geschichte zu sehen war, wurde ein Star.

Einige hofften, dass 2014 den Beginn einer langersehnten Anerkennung darstelle – ein Moment, in dem trans Menschen endlich zu denjenigen gehören, die das Recht haben, einfach nur zu sein. Andere jedoch, insbesondere trans Menschen of Color, gaben zu bedenken, dass diese Art von Sichtbarkeit immer ein ambivalentes Geschenk ist, da die Sichtbarkeit einen auch zusätzlichen Angriffen aussetzen kann. Der größte Teil der Gewalt, die gegen uns ausgeübt wird, richtet sich gegen die Black, Indigenous and People of Color (BIPOC) unserer Gemeinschaft.

Wenn ich über die Auswirkungen unserer Sichtbarkeit nachdenke, muss ich zugeben, dass es mir schwerfällt, mich dabei nicht zwiespältig zu fühlen. Dieser Moment der Sichtbarkeit hat es mir ermöglicht, mich zu outen. Viele Jahre lang habe ich mein eigenes trans sein nicht verstanden. Es gab wenige Ressourcen. Die Bücher, die ich fand, konnte ich nur schwer auf mich beziehen. Die zunehmende Sichtbarkeit von trans Menschen hat mir geholfen, und ich weiß, dass sie auch anderen geholfen hat. Sie half mir, Menschen zu finden, die sich bereits geoutet hatten, die mich beraten und unterstützen konnten.

Aber die Welle des Medieninteresses an uns machte uns auch zu einer sichtbareren Zielscheibe. Denjenigen, die gerne Vorurteile gegen andere hegen, wurde klar, dass sie es versäumt hatten, trans und geschlechtlich nicht-konforme Menschen mit demselben Eifer zu hassen, mit dem sie bereits andere Gruppen hassten. Sie verfolgten uns mit einem solchen Eifer, als ob sie die verlorene Zeit gutmachen wollten. Die Welle von Gesetzen gegen trans Personen überall in den USA ist eine der Folgen dieses Anstiegs der Sichtbarkeit. Während ich dies schreibe, verfolgt die American Civil Liberties Union über 400 solcher Gesetzesentwürfe. Und wenn wir angegriffen werden, sind es immer trans BIPOC, die die Hauptlast tragen.

Für wen hat sich die Sichtbarkeit gelohnt?

Ich denke manchmal, dass es nur zwei Arten von trans Menschen gibt: Diejenigen, die verbergen können, dass sie trans sind, um der Verfolgung – mehr oder weniger – zu entgehen, und diejenigen, die sich einfach outen müssen, um überhaupt leben zu können. Ich gehörte lange zu der Sorte, die es verbergen konnte, sogar vor mir selbst. Nicht immer ging das so gut. Als Teenager in den 1970er Jahren wurde ich manchmal für einen schwulen Mann gehalten und entsprechend herumgeschubst oder verspottet. Ich dachte, sie könnten Recht haben. Ich versuchte, als schwuler Mann zu leben, und scheiterte. Ich war etwas anderes – ich war eine Frau. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass ich das bin.

Im Alter von 19 Jahren traf ich zum ersten Mal auf andere trans Frauen. Alles in ihrem Leben war ein Kampf. Sie bekamen keine reguläre Arbeit, waren oft obdachlos, kämpften mit Sucht oder Verzweiflung. Obwohl ich mich in ihnen wiedererkannte, erschien es mir unvorstellbar, dass ich ein Leben, eine Karriere, irgendetwas haben könnte, wenn ich ebenfalls eine trans Frau wäre. Indem ich im Schrank blieb, hatte ich das Gefühl, dass ich das Leben dem Tod vorzog. Das ist übertrieben dramatisch, aber nicht völlig unbegründet. Es gab sehr wenige Vorbilder.

Es war allerdings auch nicht immer leicht, den Gedanken an ein Coming-out beiseitezuschieben. Das ist eine Sache, die Menschen schwer zu vermitteln ist, die nicht das tiefsitzende Bedürfnis verspüren, das die meisten trans Menschen dazu treibt, ihren Körper, ihr Aussehen, ihre Sprache und ihr Verhalten zu verändern. Das Geschlecht des Körpers ist die Musik des Körpers – und es kann schwer sein, in seinem Körper zu leben, wenn alles an ihm als Lärm empfunden wird. Manchmal ist es nicht möglich.

Diese Geräusche können so harsch sein, dass wir nach jeder Möglichkeit suchen, sie zum Schweigen zu bringen, sei es durch Drogen oder Selbstmord; oder wir versuchen sie zu übertönen, indem wir das uns zugewiesene Geschlecht auf eine Weise ausleben, die eine Selbstbestrafung bedeutet. Für trans Frauen kann das zum Beispiel heißen, dass sie ein Jock werden, jener Stereotyp eines jungen, sportlich erfolgreichen und sexuell aktiven Manns, der sich über andere erhebt (wie das Urban Dictionary vermerkt), oder der Armee beitreten. Meistens aber dissoziieren wir. Wir sind einfach nicht so oft in unserem Körper. Ich hatte das Glück, dass ich aus diesem dissoziierten Zustand heraus eine Schreibgewohnheit kultivieren konnte. Das Schreiben hat mich gerettet. Es war der Ort, an dem ich mich nicht mit meinem Körper beschäftigen musste und an dem ich eine Fähigkeit ausbilden konnte, die eine beruflichen Perspektive eröffnete. Aber für viele von uns führt der konstante Lärm zu Depressionen und zu einem endlosen Herumrudern im eigenenLeben.

Es bedeutete daher viel, trans Menschen in Zeitschriften oder im Fernsehen zu sehen, die sich mit Selbstachtung zeigten. Diejenigen, die schließlich zu unseren Sprecher*innen wurden, weigerten sich zurecht, über ihre Genitalien, ihre Operationen oder ihre Hormonbehandlungen zu sprechen. Laverne Cox wies Barbara Walters höflich, aber bestimmt daraufhin, sie solle im nationalen Fernsehen nicht danach fragen. Trans Personen bestanden darauf, Menschen zu sein und keine Zirkusattraktion.

Aber was so schwer zu vermitteln war, manchmal auch anderen trans Menschen, ist die gemeinsame Geschichte des Lärms des Körpers und der Mittel, die wir finden, um damit fertigzuwerden. In vielerlei Hinsicht wurde diese Geschichte auf »Identität« reduziert, obwohl sie in Wirklichkeit viel mehr als das ist. Wenn wir uns outen, fügen wir nicht einer Sexualität eine passende Identität hinzu. (Denn trans Personen können schwul oder heterosexuell sein und all die sexuellen Orientierung haben, die andere Menschen auch haben können.) Was wir tatsächlich tun, ist, etwas über unseren Körper und unser Selbst zu erklären. Wir sagen, dass es unmöglich ist, weiterhin das zu sein, wofür man uns, manchmal sogar wir selbst, gehalten hat.

Was der 2014 ausgerufene »Wendepunkt« daher vielleicht ein Stück weit verdunkelt, ist, dass wir immer existiert haben und immer existieren werden. Wir sind eine der vielen Variationen dessen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Und der Versuch, uns auszurotten, verarmt die gesamte Menschheit. Wir wissen, was es bedeutet, wirklich in unseren Körpern zu sein, auf eine Art und Weise, wie es sonst niemand tut.

Ich würde nicht sagen, dass ich »stolz« darauf bin, trans zu sein. Das wäre so, als wäre man stolz darauf, besonders groß zu sein. Es ist schlicht eine Tatsache des Fleisches. Ich musste lernen, mich nicht dafür zu schämen. Aber vielleicht ist der Schritt aus der Scham heraus nicht ganz das gleiche, wie ein Schritt hin zum Stolz. Für viele trans Menschen ist es eine Überlebensstrategie, sich der Welt als mehr als gewöhnlich, als außergewöhnlich zu stellen – aber es ist anstrengend. Andererseits bringt es zu viele von uns um, als weniger als ein normaler Mensch angesehen zu werden. Was ich für uns will, ist das Recht, normal zu sein: Einfach nur eine der vielen Variationen des Menschen.

Letzten Endes muss man sich wirklich fragen, was die ganze Aufregung soll. Vielleicht liegt es daran, dass Körper kompliziert sind und merkwürdig werden können. Das ist etwas, mit dem sich viele Menschen lieber nicht auseinandersetzen wollen. Ich jedenfalls wollte das nicht, bis mir keine andere Möglichkeit blieb, um überhaupt ein lebenswertes Leben zu leben. Denn das ist es, was das Coming-out von trans Menschen tatsächlich bedeutet: Dass alles, was mit dem vergeschlechtlichten Körper zu tun hat, von den willkürlichen Normen abweichen kann, in die uns unsere Kultur zwangsweise hineinzupressen versucht. Dass Menschsein, selbst in seiner gewöhnlichsten Form, ebenfalls variabel ist. Wenn man uns wirklich sehen will, ist diese Variabilität etwas, das man feiern sollte, anstatt sie nur zu tolerieren oder, schlimmstenfalls, zu unterdrücken.

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