14.11.2012

Das Petraeus-Gewebe. Über die Erotik der Geheimdienste. Von Alexander Pschera

Alexander Pschera: Die Erotik der Geheimdienste

Affairen können symptomatisch sein. Affairen sind Ereignisse des Unerlaubten. Das Unerlaubte sagt manchmal mehr über die Zeit aus als das Erlaubte. Denn es ist derjenige Teil der Wirklichkeit, der nicht einsehbar ist. Auch der Weg, auf dem sich das Unerlaubte verwirklicht, und die Form, in der es kommuniziert, sind signifikant. Affairen werfen ein grelles Licht auf Machtstrukturen. Sie enthüllen Verflechtungen und Parteiungen, Einflüsse und Abhängigkeiten, Schwächen und Eitelkeiten. Wenn Affairen ans Tageslicht kommen, dann wird immer mehr sichtbar als nur diese Affaire selbst. Das ganze Gewebe der Macht und der Information, in das die Affaire eingebettet ist, tritt dann hervor.
Was ist das Petraeus-Gewebe? Es ist zunächst nicht mehr als ein Geflecht aus Personen, die auf undurchsichtige Art miteinander zusammen hängen und die die Akteure dieser Affaire sind. Aber dann ist dieses Geflecht auch mehr: ein Gewebe aus Gedanken, Informationen und Handlungen, das die Trennungslinie zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit so überwuchert, dass es absichtlich wirkt. Der General und seine Geliebte – eine attraktive Harvard-Absolventin, die an seiner Biographie schrieb – nutzten als Kommunikationsmedium ein Google-Mail-Konto. Die Geliebte des Generals schrieb einer vermeintlichen Rivalin, einer ebenso attraktiven Chirurgengattin aus Florida, Droh-Mails. Auch der FBI-Agent, den die Rivalin daraufhin einschaltete, kommunizierte mit ihr via Internet – und zwar in erotischer Absicht. Alle diese Protagonisten nutzten Google-Mail als einen virtuellen Darkroom. Alle wußten natürlich, daß das Internet und dass vor allem Google nicht sicher ist. Sie wußten, dass sie früher oder später aufgedeckt würden. Ihnen war klar, welches Risiko sie eingingen. Es kann gar nicht anders sein. Und dennoch schrieben sie sich Mails, die ihre Ehen, ihre Karrieren und ihren öffentlichen Ruf aufs Spiel setzten. Warum taten sie das?
Der Eros ist regellos. Er ist sogar regelzersetzend. Er sucht seine Verwirklichung im Widerspruch zu dem, was die Normalität der Person ausmacht. So gesehen ist der Eros immer „pervers“. Er zeigt die Rückseite der Person, ihren Schatten. Er ist Sehnsucht nach dem ganz anderen des Lebens. Er ist so auch Sehnsucht nach einem anderen Leben im gleichen.
Für Petraeus bedeutet das: Sehnsucht nach einem Leben der Selbstoffenbarung in einem Leben des Schweigens und der Selbstregulierung. Petraeus ist einer der obersten Geheimnisträger der USA. Diskretion ist sein Lebenssinn. Er bewegt sich in einer Welt der strikten Informationskontrolle. Erotisch kann für ihn nur das Gegenteil davon sein: der Bruch des Schweigens, das Spiel mit der Öffentlichkeit, die Publikmachung der Intimität, die Prostitution von Information. Der Eros des Generals ist, sich der Öffentlichkeit einzuschreiben.
Das Petraeus-Gewebe ist so eine Form des digitalen Exhibitionismus. Für Petraeus und seine Mitspieler hat bloße Intimität keinen Reiz mehr. Sie sind Intimitäts-deformiert. Verborgenheit bietet keinen Lustgewinn, wo der klandestine Zugriff zur Tagesordnung gehören. Denn Eros ist Druckabbau. Der Druck bei Petraeus baute sich auf in der unbedingten Verpflichtung, zu schweigen. Das erotische Spiel ist Widerspruch zur Ordnung, in der er lebt. Es ist Druckabbau als Informationsflutung: 20.000 Seiten füllen die Mail-Transkripte der Petraeus-Affaire.
Der Eros des Generals besteht nicht nur darin, entdeckt zu werden, sondern auch darin, mit der Möglichkeit des Entdecktwerdens so lange wie möglich zu spielen. Der erotische Akt dauert umso länger, je mehr sich das Entdecktwerden hinzieht. Man will erst später gesehen werden bei dem, was man heimlich macht. Man gibt seine Intimität der Öffentlichkeit preis, aber so, daß man mit dieser Öffentlichkeit spielt, daß diese Öffentlichkeit erst suchen muß, um den Kern des Intimen zu finden. Man spielt dabei mit den Skriptmustern des Medialen, die die Öffentlichkeit kennt: Die Petraeus-Affaire liest sich wie eine der besseren HBO-Fernsehserien. Das alles sind Verlängerungen und Inszenierungen der Selbst-Offenbarung. Sie erzeugen einen gesteigerten Lustgewinn. Dem dient auch die Brisanz des Materials. Das, was „herauskommen kann“, ist hochsensibel, was seine Regulation angeht: militärische Geheimnisse, Aufenthaltsorte von Gefangenen, Zugriffsdaten. Die erotische Deregulierung ist umso stärker, je regelhafter der Stoff ist, mit dem sie spielt.
Das Petraeus-Gewebe ist kein zufälliges Verhalten, keine Dummheit, sondern es ist Anpassung des Gehirngeflechts eines professionellen Geheimnisträgers an die Bedürfnisse des Eros, kontraproduktiv zu sein. Es ist eine neurologische Struktur, und zwar die eines großangelegten, ja eines monumentalen erotischen Spiels. Denn das Petraeus-Gewebe ist Mimikry der Struktur des Netzes. Es ist eine Form der digitalen Evolution des Eros. Der Eros mutiert. Er wird öffentlich, global. Das Erotische wird nicht mehr in der Intimität erlebt, sondern Lust ist die dem Öffentlichen zur Verfügung gestellte Möglichkeit, das Private zu erkennen. Lustgewinn ensteht nicht aus der Interaktion mit dem Körper der oder des Geliebten, sondern in der Vereinigung mit dem Netz. Das Netz ist der Körper der Entgrenzung, nicht mehr das menschliche Fleisch.
Aber: Ist das Petraeus-Gewebe ein männliches Geflecht? In einer Welt der männlichen Macht stürzen meist Männer über Affairen. Diese Männer können Täter oder Opfer sein.Was von den großen Affairen im Gedächtnis bleibt, sind allerdings nicht die Männer, sondern die weiblichen Formen des Widerstands gegen die gesellschaftliche Norm. Jede große Affaire hat einen anderen weiblichen Gestus. Heloise schrieb Briefe an Abelard. Lola Montez rauchte auf der Münchner Theresienstrasse Zigarren und führte ihre Dogge spazieren. Mata Hary tanzte mit Schleiern und spielte mit der partiellen Enthüllung ihres Körpers. Paula Broadwell und Jill Kelley exhibitionierten sich digital. Diese Sequenz zeigt die Transformation des Eros. Der Schleiertanz der Mata Hary, der mehr offenbarte, als er verbarg, ist die direkte Vorstufe des Petraeus-Gewebes. Das Gmail-Konto ist ein digitaler Schleier, dessen Transparenz erwünscht ist, weil sie luststeigernd wirkt.
Der Schleier ist ein weibliches Accessoire. Das Gmail-Konto hingegen ist geschlechtslos. Der Eros mutiert also doppelt: Er löst die Grenzen zwischen Innen und Aussen auf ebenso wie die zwischen männlich und weiblich: Von Paula Bradford ist bekannt, daß sie mit ihrem Bizeps Walnüsse knacken kann.
Soziale Interaktion im Netz ist ein erotischer Tanz des Verbergens und Enthüllens, und die Oszillation zwischen dem, was noch uns alleine gehört, und dem, was wir bereits offenbart haben, ist der eigentliche Reiz des Netzes – ein erotischer Reiz. Das Netz ist der Überkörper des digitalen Eros. So entbirgt das Petraeus-Gewebe nicht nur eine spezifische Form des Eros (den der militärischen Klandestinität), sondern es entbirgt zugleich den erotischen Körper des Netzes. Das Petraeus-Gewebe ist keine spezifische Zellverbindung eines amerikanischen Elitemilitärs, sondern es ist die zeitgenössische Mutation des Erotischen.

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